Quelle: Rundblick, Jahrgang 2014/Nr. 193 vom 23. Oktober 2014

Zum Tage: Beutepolitik?

(rb) Die Aktuelle Stunde im Niedersächsischen Landtag, in der es am Mittwoch auf Antrag der Grünen um „permanente Angriffe gegen die Justiz“ und das Verhältnis der CDU zur „dritten Gewalt“ gehen sollte, zeigte erneut, wie verhärtet die Fronten zwischen dem rot-grünen Regierungslager und der schwarz-gelben Landtagsopposition nach gut eineinhalb Jahren sind. Zum anderen wurde abermals deutlich, wie schwer sich die Regierungsfraktionen und die Kabinettsmitglieder mit Kritik, besonders aber mit der parlamentarischen Demokratie tun.

Ausgangspunkt für die Landtagsdebatte waren diverse Vorgänge im Verantwortungsbereich von Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne), die man auch als Pannen bezeichnen könnte und über die das Ministerium bzw. die Ministerin den Landtag und die Öffentlichkeit nur zögerlich und zunächst unzureichend informiert hatte. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Jens Nacke, der sich seit geraumer Zeit als „Chefankläger“ gegenüber der Justizministerin gefällt, zählte einige Beispiele auf, in denen der Landtag und die Medien zunächst unvollständig oder gar falsch unterrichtet wurden und erst auf Drängen der Opposition Korrekturen erfolgten. Dazu zählen u. a. unterschiedliche Angaben aus dem Justizministerium über geflohene Sicherungsverwahrte und über Dienstwagenaffären, die zwei hochrangige Landesbeamte betreffen. Ziel dieser Aktionen sei es gewesen, „peinliche Vorgänge zu verheimlichen und zu vertuschen“, glaubt Nacke.

Das sehen die Liberalen genauso. Deren Rechtsexperte Dr. Stefan Birkner spricht von „bewussten“ Falschinformationen über Pannen, die mittlerweile ein bemerkenswertes Ausmaß angenommen hätten und im Zusammenspiel mit dem „diffusen“ Auftreten der Ministerin das Vertrauen in die niedersächsische Justiz zerstörten. SPD und Grüne bewerten das anders. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Helge Limburg, der seit geraumer Zeit als Nackes Gegenspieler und „Chefbeschützer“ seiner Ministerin und der Justiz auftritt, spricht der CDU schlicht jegliche Kompetenz in der Rechtspolitik und jegliches Bewusstsein für Rechtsstaatlichkeit ab. Stattdessen wirft er der CDU „Schmierentheater“ und eine Schmutzkampagne gegen die Justizministerin und die Justiz vor. Ähnlich tönt es aus der SPD-Fraktion.

Dieser am Mittwoch erneut geführte Schlagabtausch bildet nur die sichtbare Spitze eines Konflikts ab, der viel tiefer geht. Seit Regierungsantritt im Februar 2013 bemühen sich die rot-grünen Koalitionspartner um eine Politik der „ruhigen Hand“, die nicht nur allen Partizipations- und Transparenzversprechen aus dem Wahlkampf zuwiderlaufen, sondern auch die Rechte der Landtagsopposition, aber auch der Medien beschneiden möchte. Unter Leitung von Ministerpräsident Stephan Weil fasst diese Landesregierung den Begriff des internen Regierungshandelns so weit, dass so gut wie nichts mehr aus den Ressorts nach draußen dringt. Akteneinsicht muss per Gerichtsbeschluss eingefordert werden. Der Landtag, die Verbände und die Öffentlichkeit werden sehr selektiv und erst dann informiert, wenn es nicht mehr zu vermeiden ist. Die Koalitionspartner haben ein gut geöltes Miteinander im Hinterzimmer entwickelt. Dazu trägt bei, dass die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen selbstverständlich an jeder Kabinettssitzung teilnehmen, man sich alle zwei Wochen mit den Parteivorsitzenden im Koalitionsausschuss trifft und dort alle Vorhaben bis zur Präsentationsreife abspricht.

Damit werden das Prinzip der Gewaltenteilung und die repräsentative Demokratie systematisch aufgeweicht. Der Landtag wird nicht mehr in Gänze als Souverän für politische Sachentscheidungen, sondern als Beute der Mehrheit begriffen. Regierungsmitglieder kündigen schon mal Gesetzesänderungen als fix an, bevor sich der Landtag überhaupt damit befassen konnte. Anfragen von CDU und FDP an die Regierung werden nur widerwillig und unzureichend beantwortet oder schmoren über die Vier-Wochen-Frist hinaus zum Teil monatelang in den Ressorts. Die Koalitionäre scheuen nicht davor zurück, auf Rücknahme bestimmter Oppositionsanfragen zu drängen und würden gern die mittlerweile ohnehin mageren Frage- und Mitwirkungsrechte der Opposition weiter beschneiden – ohne darüber nachzudenken, dass sie irgendwann auch mal wieder Nicht-Regierungslager sein könnten. Immer wieder lassen SPD- und Grünen-Landtagsabgeordnete eine Haltung erkennen, die bedenklich stimmen muss. Da ist von „Regierungsabgeordneten“ die Rede oder von „überflüssigen“ Fragen der Opposition. Gern wird Parlamentariern von CDU und FDP grundsätzlich das Rederecht unter Hinweis auf ihr „Versagen“ während der schwarz-gelben Regierungszeit abgesprochen. Das gilt insbesondere für ehemalige Minister/innen. Neuer Stil oder Beutepolitik?                                                         bri